Neue Kraft tanken nach schwerer Zeit

Tossens – Es war der 23. Oktober 2019, als das Leben der Familie Wohlfahrt aus Stadland auf den Kopf gestellt wurde. Bianca und Kai Wohlfahrt waren mit ihren vier Kindern unterwegs, als die damals zehnjährige Tochter Mila plötzlich zusammenbrach. Sie fuhren in die Notaufnahme ins Krankenhaus. Noch in derselben Nacht konnte festgestellt werden, was der Auslöser für den Zusammenbruch war. Die Diagnose: Leukämie.

Heiner Westphal vom Verein Fussel (links) hat Familie Wohlfahrt mit den Zwillingen Lennox und Leander, Tochter Mila sowie Mutter Bianca und Vater Kai während der Erholungswoche in Tossens betreut. Bild: Eyleen Thümler

Ereignisse verarbeiten 

Familie Wohlfahrt hat jetzt eine Erholungswoche im Center Parcs Tossens verbracht. Möglich machte das die Kinderkrebshilfe Fussel. Der Verein hatte die Wohlfahrts und neun weitere Familien aus den Bereichen Oldenburg, Ostfriesland und Hannover zu einer Auszeit in Tossens eingeladen. Dafür sind die Wohlfahrts sehr dankbar. Die Angebote des Vereins helfen ihnen dabei, die Ereignisse, die hinter ihnen liegen, zu verarbeiten und neue Kraft zu schöpfen. Es ist der erste richtige Urlaub für die Familie seit der Diagnose. Bereits vor Milas Zusammenbruch im Oktober 2019 hatten sich die ersten Symptome gezeigt. Sie klagte über Bauch- und Gliederschmerzen, war kraftlos, oft krank und ihre Lymphknoten waren geschwollen. Sämtliche Arztbesuche führten zu keinem Ergebnis, Blutabnahmen und weitere Untersuchungen wurden aufgeschoben. „Es vergingen Wochen, wertvolle Zeit“, sagt Bianca Wohlfahrt rückblickend. Erst im Krankenhaus gab es die bittere Erkenntnis, dass Mila an Leukämie erkrankt ist. Es folgten ein wochenlanger Aufenthalt in der Kinderklinik in Oldenburg, Chemotherapie und die Suche nach einem Stammzellspender.

Folgeerkrankungen
Während Mutter Bianca mit Mila im Krankenhaus blieb, kümmerte sich Vater Kai zu Hause um die damals vierjährigen Zwillinge Lennox und Leander sowie um die älteste Tochter Leonie, die 14 Jahre alt war. Es war eine schwierige Zeit für die Familie. Doch schon nach einigen Monaten gab es den ersten Lichtblick. Relativ schnell konnten gleich zwei Stammzellspender gefunden werden, die für Mila in Frage kamen. Im Juni 2020 erfolgte dann die Transplantation im Krankenhaus in Münster. Milas Immunsystem hatte große Schwierigkeiten damit, sich nach der Spende wieder ausreichend aufzubauen, doch nach einigen Wochen konnte sie mit Unterstützung einer Pflegekraft wieder zurück nach Hause. Mittlerweile ist die Leukämie besiegt, zu schaffen machen Mila allerdings diverse Folgeerkrankungen. Durch die Chemotherapie hat sich ein Blutgerinnsel gebildet, das beobachtet werden muss. Aufgrund von zwei Lungenentzündungen während der Therapie liegt Milas Lungenfunktion nur noch bei 64 Prozent. Auch das muss weiter untersucht werden. Besonders ihre Osteonekrose macht es Mila schwer. Die Krankheit, bei der bestimmte Bereiche der Knochen immer weiter absterben, wird auch als Knocheninfarkt bezeichnet und führt zu großen Schmerzen. Mila kann zwar laufen, hat zur Unterstützung aber einen Rollstuhl – für weitere Strecken oder schlechte Tage. Wenn ihr Wachstum beendet ist, soll sie neue Gelenke bekommen. Erschwerend hinzu kommt Milas selektiver Mutismus. In bestimmten sozialen Situationen oder mit Menschen, die nicht zum engsten Familienkreis gehören, hat sie oft Sprachblockaden und kann dadurch häufig nicht ausdrücken, was sie fühlt. 

Großes Ziel
Trotz allem blickt die Familie Wohlfahrt positiv in die Zukunft. Mila geht wieder zur Schule, ist von der Oberschule auf eine Förderschule gewechselt. Hier hat sie neue Freunde gefunden und fühlt sich wohl. Die Familie tut alles dafür, weiterhin gute Behandlungen für Mila zu finden und ihr auf lange Sicht ein möglichst normales Leben ermöglichen zu können. Milas großes Ziel ist es, in ein paar Jahren ihren Führerschein zu machen. Anschließend möchte sie mit einem Wohnmobil um die Welt reisen und all das entdecken, was ihr bisher verborgen blieb. 

Der Verein Fussel
Bereits zum 23. Mal hat der Nordenhamer Verein Fussel in diesem Jahr die Erholungswoche für Familien mit krebskranken Kindern veranstaltet. Insgesamt 47 Personen, darunter 27 Kinder, wurden nach Butjadingen eingeladen.

Seit Corona ist es das erste Mal, dass die Aktion wieder stattfinden konnte. Heiner Westphal und seine Frau Heike, die die Familien in der vergangenen Woche betreuten, sind sehr froh darüber. „Es ist schön zu sehen, was so eine Woche bewirken kann. Unsere Motivation ist es, den Familien eine erholsame Zeit nach all den Turbulenzen zu bescheren“, sagt Heiner Westphal. Er und seine Frau wissen, wovon sie sprechen. 1989 ist ihr Sohn an einem Gehirntumor verstorben. Während seiner Krankheit haben sie die Erfahrung gemacht, dass es ihnen und vielen betroffenen Familien an Unterstützung mangelt. Um das zu ändern, gründeten sie den Verein Fussel.

In der vergangenen Woche wurden einige Aktionen organisiert, an denen die Familien auf freiwilliger Basis teilnehmen konnten. Bei der Auswahl der Ausflüge und Veranstaltungen achten Heiner Westphal und seine Mitstreiter darauf, dass diese zu den angemeldeten Familien passen. Dieses Mal ging es in den Klettergarten. Außerdem konnten die Familien in der Moorseer Mühle Brot backen. Eigentlich war auch eine Fahrt mit der MS Wega ab Fedderwardersiel geplant, diese musste allerdings unglücklicherweise ausfallen, weil das Schiff aufgrund von Lieferengpässen in der Werft erst verspätet in die Saison starten kann. 

Von Eyleen Thümler, Nordwest-Zeitung Nr. 83 vom 08.04.2023